Interview

«Das Umfeld für Aktienkäufe bleibt optimal»

Peter E. Huber glaubt, dass die Börsenerholung nachhaltig ist. Der Contrarian erklärt, warum er europäische und japanische Aktien mag und weshalb er seine Goldminenwerte verkauft hat.

Gregor Mast
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Peter E. Huber lässt sich nicht so einfach beeindrucken. Der Gründer der Huber Portfolio GmbH und ehemalige Partner von StarCapital hält nichts von allseits beliebten Wachstumswerten wie Microsoft und Amazon. «Das höre ich jedes Mal», sagt er auf den Einwand, diesen Unternehmen gehöre die Zukunft.

Huber, der seine Börsenlaufbahn 1968 begonnen hatte, erinnert die aktuelle Entwicklung an die damals herrschende Nifty-Fifty-Euphorie. «Den erfahrenen Fondsmanagern, die vor dem Boom warnten, wurde vorgeworfen, die neue Welt nicht zu verstehen.» Mit Ausbruch der ersten Ölkrise war die Party vorbei, die Kurse der Börsenlieblinge pulverisierten sich.

Huber setzt als Contrarian deshalb lieber auf Aktien, um die Anleger einen weiten Bogen machen. Dazu zählen derzeit vor allem zyklische Valoren aus Europa und Japan. «Diese Titel werden von einer Konjunkturerholung am meisten profitieren», ist er überzeugt.

Von Anleihen hält Huber, der jahrelang gemischte Mandate verwaltet hat, nichts mehr. Angesichts des Zinsumfelds sei es sinnvoller, in ein gut diversifiziertes, antizyklisch strukturiertes Aktienportfolio zu investieren «als in deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit und 0,4% Strafzins pro Jahr».

Herr Huber, lassen Sie uns mit einer Frage beginnen, die sich eigentlich nicht zuverlässig beantworten lässt: Ist die Börsenerholung der letzten Wochen nachhaltig?

Die Antwort ist einfacher als gedacht, weil sich der Zeitpunkt für den optimalen Einstieg in den Aktienmarkt bestimmen lässt. Am besten kauft man, wenn die Zeitungen voll sind von schlechten Nachrichten, wenn also die Konjunktur in die Rezession abdriftet, die Unternehmensgewinne einbrechen, die Dividenden gekürzt oder gestrichen werden, der Grossteil der Anleger skeptisch ist und die Notenbanken Gas geben. Trotz der Aufwärtsbewegung seit März sind diese Voraussetzungen weiterhin gegeben. Die Börsenerholung dürfte also nachhaltig sein.

Oft kommt es in Baissen nach einer Erholung zu einem zweiten Taucher. Wie gross ist dieses Risiko?

Diese Frage ist schwieriger zu beantworten, weil niemand weiss, ob eine zweite Pandemiewelle droht oder sich der Handelskonflikt zwischen den USA und China verschärft. Was klar ist: Die Zweitquartalszahlen werden katastrophal ausfallen. Der Umsatz ist in nie dagewesenem Ausmass eingebrochen, bei vielen Unternehmen sind Verluste unvermeidlich, und einige werden den Abschwung nicht überleben. Andererseits haben wir eine beispiellose Stimulierung durch die monetären und die fiskalischen Rettungspakete, die mit einer gewissen Verzögerung wirken. Sie dürften stärker wiegen als die schlechten Wirtschaftsmeldungen.

Warum sind die Massnahmen wichtiger als schlechte Konjunkturnachrichten?

Während das Bruttoinlandprodukt einbricht, explodiert die Geldmenge. Die Wirtschaft kann das viele Geld also gar nicht absorbieren. Die Überschussliquidität fliesst in der Regel in die Märkte. Deshalb nehmen sie die Konjunkturerholung oft vorweg, die auf den Stimulus folgt. Doch unabhängig davon, ob die Börsen nochmals korrigieren, bleibt das Umfeld für Aktienkäufe optimal. Das gilt umso mehr, als die Erholung der marktbreiten Indizes überzeichnet wurde durch alte Favoriten wie Amazon, Microsoft oder Netflix, die sich als Profiteure der Krise herausgestellt haben. Value-Titel ziehen erst seit gut einer Woche an. Viele Industrie-, Chemie-, Auto- oder Bauwerte notieren immer noch 30 bis 50% unter dem Vorkrisenniveau. Sie werden von einer Konjunkturerholung am meisten profitieren.

Ist die Erholung der Value-Aktien nicht einfach ein weiteres Strohfeuer?

Nachdem Wachstumswerte jahrelang besser abgeschnitten haben, findet sich heute kaum mehr ein Portefeuille, in dem eine Nestlé oder eine Microsoft nicht prominent vertreten ist. Ich glaube deshalb an den Favoritenwechsel hin zu Value – genauso wie auch Europa und Asien besser abschneiden werden als die USA. Ein langfristiger Trendwechsel braucht aber Zeit – es wird immer wieder Rückschläge geben für Value-Werte.

Was macht Sie da so sicher?

Wachstumspapiere sind enorm überbewertet – Microsoft weist eine höhere Börsenkapitalisierung auf als der britische FTSE 100, der Titel enthält wie die Pharmagiganten AstraZeneca und GlaxoSmithKline oder den Nahrungsmittelmulti Unilever. Die fünf grössten US-Valoren machen über 20% des S&P 500 aus – solche Zustände halten sich nicht.

Microsoft & Co sind Nutzniesser des Trends zur Digitalisierung.

Das höre ich jedes Mal. Ich bin 1968 in die Aktienmärkte eingestiegen. Da lief schon seit sechs Jahren die Nifty-Fifty-Welle. Die jungen Fondsmanager spielten diese fünfzig Wachstumswerte, zu denen Namen wie Polaroid oder Coca-Cola zählten, aggressiv, die Kurse kletterten deshalb immer höher. Den erfahrenen Kollegen wurde vorgeworfen, die neue Welt nicht zu verstehen. Viele wurden wegen der schlechten Performance abgelöst. Das zog sich hin bis zum Beginn der Ölkrise 1973, als sich die Kurse dieser Titel pulverisierten, obwohl sie doch angeblich das Beste vom Besten waren.

Immerhin wachsen in den USA anders als in Europa die Unternehmensgewinne.

Das stimmt, nur liegt das vor allem an den gewaltigen Aktienrückkäufen der US-Unternehmen, die in Spitzenjahren 1000 Mrd. erreichten und grösstenteils schuldenfinanziert sind. So steigt der Gewinn je Titel – aber nicht wegen eines höheren operativen Gewinns, sondern weil die Anzahl Aktien abnimmt. Die Gewinnentwicklung war ein wichtiger Grund für das bessere Abschneiden des US-Marktes. Nur sind die Rückkäufe nicht nachhaltig, zumal sich die Qualität der Bilanzen deutlich verschlechtert hat.

Braucht es nicht eine Abkehr vom Goldilocks-Umfeld mit moderatem Wachstum, niedriger Inflation und tiefen Zinsen, damit Value-Titel in den Fokus der Anleger rücken?

Auch günstig bewertete Unternehmen schlafen nicht. Eine BASF oder eine Bayer profitiert von der Digitalisierung ihres Geschäfts. Natürlich hat Tesla einen Vorsprung, nur ist es absurd, dass die Börsenkapitalisierung der Kalifornier die der anderen Autoaktien en bloc übersteigt, weil es in der Elektromobilität fast keine Markteintrittsbarrieren gibt.

Sind die geringen Eintrittshürden nicht auch ein Argument gegen BMW oder Daimler, weil es bei Gewinn und Marge nicht zur Rückkehr zum Mittelwert – zu der sogenannten Mean Reversion – kommt, mit der Value-Anleger üblicherweise rechnen?

Die Herausforderungen sind zweifellos gross, aber in der Branche werden zunehmend Allianzen gebildet, um die Entwicklungskosten zu teilen. Deshalb glaube ich auch nicht, dass Tesla so gut gegen Konkurrenz geschützt ist.

Sie mögen europäische Aktien. Muss sich die Region nicht erst reformieren, bevor europäische Werte nachhaltig haussieren können?

Die grossen europäischen Unternehmen agieren in der Regel weltweit. Die regionale Differenzierung ist deshalb nicht gerechtfertigt.

Vergleichbare Unternehmen seien in etwa gleich hoch bewertet, hört man oft.

Das sehe ich anders. Einer meiner Favoriten ist Bayer. Der Konzern ist mit den beiden Bereichen Gesundheit und Agrar hervorragend aufgestellt, um von der wachsenden und alternden Weltbevölkerung zu profitieren. Zudem leidet er nicht unter der Pandemie, sondern profitiert womöglich gar – und trotzdem wurden die Aktien abgestraft. Der Kurs notiert bei 60 € – vor fünf Jahren waren es 140 €. Es dürfte schwierig sein, ein qualitativ gleichwertiges Unternehmen zu finden, das ähnlich niedrig bewertet ist.

Die Schadenersatzverhandlungen wegen des Unkrautvernichters RoundUp, in die Bayer wegen der Monsanto-Übernahme geraten ist, beunruhigen Sie nicht?

Natürlich besteht deshalb Unsicherheit, aber der Markt rechnet ja schon mit Kosten in zweistelliger Milliardenhöhe. In der Regel sind Dinge, mit denen Anleger rechnen, in den Kursen enthalten.

Was spricht für Asien?

Während sich die Unternehmen in den USA verschuldet haben, um eigene Aktien zu erwerben, schwimmen japanische Gesellschaften im Geld. Sie weisen weltweit den höchsten Liquiditätsanteil in den Bilanzen auf. Zudem ist Japan der einzige Markt, in dem die Bewertung in den letzten zehn Jahren gesunken ist, weil die Gewinne stärker gestiegen sind als die Kurse.

Emerging Markets scheinen unbeliebt und günstig bewertet zu sein.

Die Entwicklung der Schwellenländer ist stark durch den Dollar geprägt, weil viele in Dollar verschuldet sind. Sollte er sich weiter abschwächen, unterstützt das die Emerging Markets. Allerdings leiden die Schwellenländer wegen ihrer Exportabhängigkeit am meisten unter den Folgen des weltweiten Lockdown. Ich ziehe deshalb zyklische Werte in den etablierten Märkten vor. Langfristig bin ich allerdings ein absoluter Chinafan.

Das müssen Sie erklären.

Der Binnenmarkt ist riesig, die Unternehmen haben allein deshalb enorme Wachstumsmöglichkeiten. Dazu sind viele noch auf den Binnenmarkt fokussiert – wie Alibaba. Gegenüber Amazon, die bereits weltweit tätig ist, hat Alibaba noch grosses Aufholpotenzial. Auch technologisch kann China mithalten – Huawei ist Technologieführer bei 5G und gleichzeitig wesentlich günstiger als die Konkurrenten Ericsson, Nokia und Cisco Systems. Langfristig werden uns die Chinesen ziemlich plattmachen. Wenn dort ein qualitativ vergleichbarer Hochgeschwindigkeitszug zu einem Drittel des Preises erhältlich ist, werden andere Anbieter es auf Dauer schwer haben.

Sofern kein politischer Gegenwind aufkommt.

US-Präsident Trump versucht ja, den Trend noch zu drehen, aber das ist zwecklos. Wenn er US-Unternehmen den Technologieexport verbietet, ist das zwar ein kurzfristiger Rückschlag für China. Dafür entwickelt das Land aber seine eigenen Technologien und emanzipiert sich so.

Was halten Sie von Edelmetallen?

Ich habe meine Goldminen verkauft, weil der Goldpreis fast auf Allzeithöchst notiert und mir zu viele Leute den Kauf von Gold und Goldaktien empfohlen haben. Solch einhellige Meinungen machen mich immer misstrauisch.

Sind Anleihen ein Thema?

Eigentlich macht die Mischung aus Aktien und Anleihen Sinn, weil Anleihen einen Einbruch an den Aktienmärkten auffangen. Nur sind die Bondrenditen derzeit weltweit viel zu niedrig im Vergleich zur Attraktivität von Aktien. Und neben der Diversifikation über Anlageklassen gibt es auch die zeitliche Diversifikation. Das Aktienrisiko ist über ein bis zwei Jahre zwar hoch, doch mit zunehmender Haltedauer sinkt die Gefahr von Verlusten. Angesichts des Zinsumfelds ist es sinnvoller, in ein gut diversifiziertes, antizyklisch strukturiertes Aktienportfolio zu investieren als in deutsche Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit und 0,4% Strafzins pro Jahr.

Peter E. Huber

Peter E. Huber ist Gründer und Geschäftsführer der Huber Portfolio GmbH in Oberursel. Er ist spezialisiert auf antizyklische Investitionen an den Aktien- und den Anleihenmärkten. Zuvor war er Partner und Fondsmanager beim Vermögensverwalter StarCapital, den er 2016 an die Bellevue Group verkauft hat. Huber hatte in Mannheim Betriebswirtschaft studiert und danach für die Privatbank SMH in Frankfurt gearbeitet, bevor er sich 1981 selbständig gemacht hat.
Peter E. Huber ist Gründer und Geschäftsführer der Huber Portfolio GmbH in Oberursel. Er ist spezialisiert auf antizyklische Investitionen an den Aktien- und den Anleihenmärkten. Zuvor war er Partner und Fondsmanager beim Vermögensverwalter StarCapital, den er 2016 an die Bellevue Group verkauft hat. Huber hatte in Mannheim Betriebswirtschaft studiert und danach für die Privatbank SMH in Frankfurt gearbeitet, bevor er sich 1981 selbständig gemacht hat.