Meinung

Welche Aktiensektoren man kaufen kann

Die Erholung der Börsenindizes wird von wenigen Titeln getragen. Chancen bieten sich in den bisher vernachlässigten Bereichen, die weit unter ihren Höchstkursen notieren.

Peter E. Huber
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Als ich 1968 meine ersten Aktien erwarb, gab es in den USA bereits seit Jahren einen Run auf die fünfzig besten Wachstums- und Qualitätsaktien, die deshalb unter der Bezeichnung «Nifty Fifty» in die Börsengeschichte eingingen. Ohne nennenswerte Korrektur stiegen diese Titel unabhängig vom allgemeinen Börsentrend immer weiter. Junge dynamische Fondsmanager konzentrierten sich immer stärker auf diese Papiere und wiesen eine tolle Wertentwicklung aus. Besonnene ältere Kollegen, die zur Vorsicht mahnten, wurden dagegen entlassen, da sie ja die neue Welt nicht mehr verstanden. Innerhalb von zehn Jahren verzehnfachten sich die Kurse der Nifty Fifty, bevor sie sich 1973 im Rahmen der Ölkrise pulverisierten.

In den nächsten Jahrzehnten gab es ähnliche Entwicklungen in anderen Bereichen (vgl. Grafik). Zuerst bei Gold, dann kam die Hausse in japanischen Aktien, die bis 1989 anhielt, anschliessend der phänomenale Anstieg an der amerikanischen Technologiebörse Nasdaq. Allen diesen Bewegungen gemeinsam war, dass sie ein böses Ende nahmen. Dem Höhenflug folgte stets ein katastrophaler Niedergang.

Quelle: Peter E. Huber

Auch heute haben wir mit den FAANG-Aktien (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google) – vielleicht noch garniert mit Microsoft – ein Bündel von Aktien, das sich über die letzten zehn Jahre mehr als verzehnfacht hat. Denn es ist ja offensichtlich, dass diesen Titeln mit ihren unschlagbaren Geschäftsmodellen die Zukunft gehört. Sie sind mehr oder weniger alternativlos. Und auch heute drängen die Investoren immer stärker in diese Gewinner, die sich sogar in der Corona-Krise megastark zeigen. Entsprechend ist ihr Gewicht im S&P 500 (und in den entsprechenden Aktien-ETF) inzwischen auf über 20% gestiegen. Microsoft allein ist heute so viel wert wie alle Mitglieder im britischen FTSE-Index zusammen.

An den internationalen Aktienbörsen kämpfen derzeit zwei extreme Kräfte um die Vorherrschaft. Einem beispiellosen Einbruch aufgrund des Corona-bedingten Lockdowns von weiten Teilen der Wirtschaft stehen ebenso gigantische Rettungsmassnahmen durch die Notenbanken (vgl. Grafik) und die Fiskalpolitik gegenüber. Je nachdem, welche von beiden die Oberhand gewinnt, wird es an den Börsen zu einem erneuten Einbruch oder zu einer weiteren Erholung kommen. Was ist wahrscheinlicher?

Quelle: Peter E. Huber

Das zweite Quartal 2020 wird sicher den Höhepunkt der Wirtschaftskrise markieren, und kaum ein Unternehmen wird von massiven Gewinneinbrüchen verschont bleiben. Anschliessend sollte es zu einer zögerlichen Erholung kommen. Die schlechten Zahlen für das zweite Quartal werden im Frühherbst veröffentlicht und sollten eigentlich nach früheren Erfahrungen nochmals zu deutlich niedrigeren Kursen führen.

Entsprechend stehen viele Anleger der derzeitigen Kurserholung fassungslos gegenüber. Nach einer Erhebung des deutschen Vergleichsportals Verivox gehen derzeit 57% der Befragten davon aus, dass die Aktienkurse in nächster Zeit noch tiefer fallen werden. Nur 16% rechnen mit einer Fortsetzung der schnellen Erholung. Das spricht dafür, dass viele schlechte Nachrichten bereits in den aktuellen Kursen enthalten sind.

Börsen antizipieren die künftige Konjunkturentwicklung sehr früh. Die grössten Kursgewinne verzeichnet man oft mitten in einer Rezession, wenn die Zeitungen voll sind mit schlechten Meldungen aus der Wirtschaft. Dies ist einer der Gründe, warum wir einer antizyklischen Anlagestrategie das Wort reden. Ein weiterer Punkt kommt dazu: Während die Frühindikatoren wie zum Beispiel die Indices der Einkaufsmanager (PMI) die aktuelle Lage abbilden und deshalb nur eine sehr begrenzte Prognosekraft für die weitere Börsenentwicklung bieten, wirken monetäre Faktoren mit einer Zeitverzögerung von sechs bis neun Monaten in die Zukunft, sind also viel bedeutsamer.

Rettungsmassnahmen erscheinen überdimensioniert

Die Massnahmen der Notenbanken und die geplanten Fiskalprogramme der Regierungen könnten die Börsen also deutlich stärker beeinflussen als die aktuelle konjunkturelle Entwicklung. Zumal sie teilweise deutlich überdimensioniert erscheinen. So hat die US-Notenbank ihre Bilanzsumme seit dem Herbst letzten Jahres von 3,7 Bio. $ auf 6,6 Bio. $ erhöht – mit weiter steigender Tendenz. Und die US-Regierung hat Rettungspakete über fast 3 Bio. $ geschnürt. Insgesamt werden sich die geplanten Hilfen auf über 7 Bio. $ belaufen, während der gesamte wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Krise auf 1,6 bis 2 Bio. $ geschätzt wird. Es könnte also eine riesige Überschussliquidität an die Börse drängen.

Das Risiko für allzu vorsichtige Anleger besteht also darin, dass die Aktienkurse weiter steigen, und zwar in einem viel schnelleren Tempo, als viele dies für möglich halten. Dem steht entgegen, dass sich die Börsen bereits deutlich erholt haben. Aber diese Erholung vermittelt ein falsches Bild, das sich aus einer gespaltenen Marktentwicklung ergibt.

Während die FAANG-Aktien seit Jahresanfang bereits wieder deutlich im Plus liegen (Microsoft + 17,1%, Netflix + 34,6%, Amazon + 28,8%), haben konjunktursensible Titel (Bau, Auto, Chemie, Banken, Industrie, Rohstoffe, Energie, Versicherungen) teils immer noch horrende Kursverluste von 30 bis 60% zu verzeichnen. Gerade diese Bereiche profitieren aber von einem Wirtschaftsaufschwung nach einer tiefen Rezession üblicherweise am meisten. Ein Paradies für Jäger und Sammler!

Peter E. Huber

Peter E. Huber ist Gründer und Geschäftsführer der Huber Portfolio GmbH in Oberursel. Er ist spezialisiert auf antizyklische Investitionen an den Aktien- und Anleihenmärkten. Zuvor war er Partner und Fondsmanager beim Vermögensverwalter StarCapital, den er 2016 an die Bellevue Group verkaufte. Huber hat in Mannheim Betriebswirtschaft studiert und danach für die Privatbank SMH in Frankfurt gearbeitet, bevor er sich 1981 selbständig machte.
Peter E. Huber ist Gründer und Geschäftsführer der Huber Portfolio GmbH in Oberursel. Er ist spezialisiert auf antizyklische Investitionen an den Aktien- und Anleihenmärkten. Zuvor war er Partner und Fondsmanager beim Vermögensverwalter StarCapital, den er 2016 an die Bellevue Group verkaufte. Huber hat in Mannheim Betriebswirtschaft studiert und danach für die Privatbank SMH in Frankfurt gearbeitet, bevor er sich 1981 selbständig machte.